Wie hatte es ihr nicht von Anfang an klar sein müssen, dass eine Liebe mit einem Mann aus dieser alten, staubigen Stadt des grantigen Anachronismus, nicht von Beginn an zum Scheitern verurteilt war. Ein Mann, der sie nicht als emanzipierte Frau gesehen hatte, sondern als „schützenswertes Fräulein“. Und wenn sie schon ihren eigenen Weg im Leben gehen wollte, dann in seiner Begleitung doch bitte mindestens auf der dem Verkehr abgewandten Seite des Gehsteiges. Mit jedem ungelenken Gast aus Ohio, den ein schwitzender, kafkaesker Oberkellner an ihr vorbei bugsierte, wurde ihr klar, dass sie ihn nie wirklich verstanden hatte: Sie hatte nicht verstanden, warum jede durchzechte Nacht auf einem der majestätischen Bälle, von denen einer prunkvoller war als der andere, obligatorisch mit einem Käsekrainer zu beenden war. Oder warum ein Mann, dessen sonore Stimme jedes Frauenherz wie mit dem Vorschlaghammer getroffen hätte, einen Dialekt sprechen musste, den scheinbar die ganze Welt zu lieben schien, der für sie aber direkt nach Sächsisch weit oben in der Rangliste der phonetischen Liebestöter rangierte. Oder wie ein Mann mit der selbstverständlichen Gelassenheit eines 100 Jahre alten kaiserlich königlichen Diplomaten mit ihr die Welt bereisen, aber selbst in den schönsten Cafés Italiens seinen Espresso mit nahezu einstudierter Skepsis und einem Anflug von Verachtung zu trinken pflegte. Wie ein Mann fünf verschiedene Möglichkeiten wusste, sich die Krawatte zu binden, aber nur EIN einziges Geschäft in der Wollzeile kannte, in der man sie kaufen durfte. Oder wie ein Mann die schönsten Komplimente und Geschenke machen konnte, die ein „beschützenswertes junges Fräulein“ sich nur wünschen konnte, und doch nicht verstand, dass eine emanzipierte Frau nur einen begrenzten Vorrat an Perlenschmuck und langen Ballhandschuhen brauchte. Ein Mann, der hervorragend kochen und alles was der wohlduftende, samstägliche Naschmarkt verkaufte in Windeseile in ein Festmahl verwandeln konnte, aber nicht ein einziges Mal zu begeistern war etwas zuzubereiten, das nicht auf der offiziellen Speisekarte des Hotel Sacher stand. Nach einigen Stunden des Dahindösens in Hawelkas feuchtwarmer Troposphäre, in der Erinnerung um diesen eigentümlichen Mann in dieser eigentümlichen Stadt, wurde ihr auf tragische Weise bewusst, dass man vom Leben nicht zu viel erwarten durfte. Dicke Tränen rannen über ihre Wangen. Er hätte ihr jetzt sicherlich ein gestärktes Stofftaschentuch mit Initialen gereicht. Er hätte sie wie eine Prinzessin hofiert und wäre mit ihr im Fiaker überall hin gefahren, solange der ‚Steffel‘ noch in Sichtweise wäre. Er hätte sie auf Händen getragen und wäre vielleicht sogar mit ihr durch den Regen getanzt, aber eben nur im Dreivierteltakt.