Casa del Caffe, Heidelberg

 

Mach es einfach. Sein Onkel hatte ihm einmal gesagt, dass man Dinge als Mann einfach tun müsste. Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss. Sagt auch jeder Westernheld. Wie einfach war doch die Welt eines Clint Eastwood; Ehrwürdiger Sherif erschießt heimtückischen Apachen. Und, entscheidender Unterschied, Clint Eastwood ging nie fremd. Wie auch zum Teufel, zum Fremdgehen braucht man ja auch eine Freundin. Die Frauen wurden vom in den Sonnenuntergang reitenden Hüter des Rechts ja auch meist erst kurz vor dem Abspann geküsst, danach fiel der Vorhang und ‘happily ever after‘. Der junge Mann wünschte sich gerade auch inständig, dass bald der Vorhang für sein eigenes kleines Schmierentheater dieser Nacht fallen würde. Er würde sanft fallen und alles vergessen machen und sich schweigend über alles legen. Auch über Viktorias makellosen, nackten Hintern, der gerade neben ihm aus der Decke herausblitzte. Ja, Viktoria war nackt. Ja, auch er war nackt. Und nein, Viktoria war nicht seine Freundin. Seine Gedanken kreisten weiter um Clint Eastwood und die Apachen, die er neben der überfallenen Postkutsche reitend aus jeder Position wie die Tauben vom Himmel schoss. Irgendwie waren Mord und Fremdgehen gar nicht so weit voneinander entfernt. Beides war unumkehrbar und absolut. Es gab kein ‚ein wenig fremdgehen‘ oder ‚halb fremdgehen‘ oder ’nicht so richtig fremdgehen‘, genauso wenig wie man nicht so ‚ein bisschen jemanden umbringen‘ oder nur ein ‚klein wenig morden‘ konnte. Und bei beidem gab es kein Zurück. Einmal Mörder, immer Mörder. Einmal Betrüger, immer Betrüger.

Viktoria murmelte etwas Unverständliches im Schlaf, und drehte sich auf die Seite. Die dünne Sommerdecke, die jetzt langsam von ihr herunter gerutscht war, gab ihre ganze atemberaubend schöne Silhouette preis. Wenigstens, so dachte der junge Mann, würde er sich rückblickend nicht für die Auswahl seines Fauxpas schämen müssen. Sie legte ihre Hand auf seine Brust und robbte sich an ihn heran, dabei schien sie aber immer noch zu schlafen. ‚Wenn die jetzt auch noch kuscheln will, dann musst du gehen‘, dachte er sich. Aber Viktoria machte keine Anstalten, als ob sie schmusen wolle. Ihre Hand blieb leblos liegen. Sie hatte wunderschön lackierte Fingernägel. Was für eine Frau. Für so eine würde Mann im Film sogar morden. Im sinnlichen Erotik-Thriller mit Sharon Stone und Michael Douglas. Fremdgehen wäre da das kleinste Problem, ein szenischer Lückenfüller, ein Kavaliersdelikt. In solchen Filmen wollen Frauen wie Viktoria, dass der junge Lover den alten stinkreichen Ehemann umbringt und es wie einen Unfall aussehen lässt, damit das altersungleiche, aber sexuell äußert aktive Liebespärchen mit der Kohle durchbrennen kann. In manchen Filmen gab es doch sogar auch gesellschaftlich tolerierten Mord, sogar straffrei. Notwehr oder das, was James Bond die ganze Zeit macht. Die Lizenz zum Töten. Der junge Mann schielte in die andere Richtung auf sein aufgeklapptes Portemonnaie. Sein eigenes grimmiges, aber perfekt biometrisches Bildnis auf seinem Personalausweis schien ihn strafend anzustarren. Die ein oder andere Lizenz würde auch er wohl in seinem Kartenwust finden. Jemals aber einen Freifahrtschein, für das was gestern Abend passierte, erhalten zu haben – einen guilt-free-pass alla American Pie – daran konnte er sich nicht erinnern. An was konnte er sich überhaupt noch erinnern? Der Rausch entschuldigt vieles, vielleicht hat Viktoria ihn ja abgefüllt? Er blickte erneut zu ihr hinüber. So unschuldig, wie sie sich gerade an ihn schmiegte, war das schwer vorzustellen. Toller Hintern, aber keine böse Hinterlist. Ein letzter Strohhalm blieb ihm. Da gibt es manchmal, selten mit großem kinematographischem Erfolg, noch die Variante, dass der Hauptdarsteller es für ein höheres Ziel tun muss. In ‘The Postman‘, schläft Kevin Costner ja als postapokaliptischer Briefträger mit einer verheirateten Frau unter der Einwilligung ihres Mannes, weil der Gatte nach radioaktiver Verstrahlung keine Kinder mehr zeugen kann und die neue Ordnung aber dringend Nachwuchs braucht. Was für ein schlechter Film.

Ok, es gibt keine entschuldigenden Umstände. Wird es denn eine Entschuldigung geben? Warum überhaupt der Kummer? Was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß, hörte er seinen Onkel wieder sagen. Wie konnte dieser Mann überhaupt zu seiner moralischen Instanz in solchen Fragen werden. Fünf Exfrauen in 20 Jahren?! Der muss seinen Spaß gehabt haben. Das bedeutet nur: die Last alleine tragen und für immer die Klappe halten, und auch keinem gutem Freund erzählen, auch nicht dem allerbesten. Wie beim Mord eben. Was nicht ausgesprochen wird, existiert nicht. Aber wie konnte dieses unfertige, sich selbst schreibende Drehbuch, sein Leben, gestern Abend überhaupt eine so unvorhergesehene Wendung nehmen? Es war ein lupenreiner ‚twisted turn‘, nach dem man sich als Kinobesucher voller Voyeurismus und Schadenfreude gierig eine Hand voll Popcorn gönnt. Heidelberg, ‚Casa del Caffe‘ in der Steingasse. Die ideale Liebeskulisse. Egal, ob man sich nach plötzlichen sommerlichen Regengüssen patschnass gemeinsam unter die Schirme rettet, um sich dort wild abzuknutschen oder ob man an bitterkalten Tagen im Schein der Heizpilze verlegen lüsterne Blicke austauscht und unter den dicken Wolldecken fummelt. Hollywood hätte diesen Platz vor dem Tor der alten Brücke zu jeder Jahreszeit als einen Zufluchtsort der Liebenden in Szene gesetzt. Mit größtem Vergnügen auch für verbotene Liebespaare. Als Viktoria damenhafte zehn Minuten zu spät, aber in einer Wolke von Coco Mademoiselle das rundgelaufene Steinpflaster von der alten Brücke kommend entlang stolzierte, hätte der geschulte Zuschauer klassischer Beziehungsdramen bereits erkannt, wohin der Plot führen sollte. Wiedersehensfreude über eine flüchtige Bekanntschaft von vor vielen Jahren sah anders aus. Sie war in Heidelberg geblieben, er hatte der Stadt lange schon den Rücken gekehrt, tauchte aber immer wieder auf, um sich in der Melancholie vergangener Tage zu ertränken und vielleicht eines Tages wieder Viktoria zu begegnen. So kam es also mehr oder weniger zufällig zur Begegnung in der Weststadt, in der Nähe ihrer Wohnung über dem schwarzen Walfisch. Es sollte ein Drink werden um sich über alte Tage zu amüsieren. In Wirklichkeit wollte er nur seinen Charme testen, und sie wollte sich davon endlich verführen lassen. Sie hatten nichts gemeinsam. Aber es gab etwas, dass ihn nicht los ließ. Immer wenn Viktoria lachte, über seine vermurksten Pointen oder die eigentlich zu anzüglichen Witze, machte sie etwas, das ihm den Verstand raubte, auf eine sehr angenehme Art und Weise. Und nach ihrem vierten Glas Rotwein und seinem dritten Gin Fizz, die zwei Gläser Spumante zu Hause als Beruhigung nicht mit eingerechnet, saß sie fast auf seinem Schoß. Zu mir oder zu Dir, dazu kam es gar nicht. Schon nach der ersten Häuserecke in Richtung Kettengasse packte sie ihn, wohl beflügelt von Sonnen getränkten Jahrgängen der Toskana, fast schon etwas grob am Kragen und zerrte ihn an sich, küsste ihn und säuselte danach schamlose Dinge in sein Ohr, bei denen er einen furchtbar trockenen Hals bekam. Er war ganz und gar in ihrem Bann. Nur vor ihrer Haustür hatte er noch einmal einen lichten Moment. Es war ihm, als flüsterte ihm, an Stelle von Victorias Anzüglichkeiten, die rauchige Stimme seines Onkels einen Rat ins Ohr. Verbotene Früchte schmecken immer am besten.

 

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